Allgemeine Didaktik im Umriss

Helmut Seel

(Universität Graz)

1. Vorbemerkungen

Anfangs der 90er Jahre konstatieren St.Hopmann und R.Künzli im Themenheft der Zeitschrift "Bildung und Erziehung" (45.Jg., H.2, 1992) eine "Didaktik-Renaissance", die sich nicht nur auf den deutschen Sprachraum bezieht,  sondern vor allem auch in der Pädagogik in den nordeuropäischen Staaten nachzuweisen ist (vgl. Kansanen 1995). Die Didaktik als Teildisziplin der Pädagogik zu betrachten, ist ein Phänomen, das insbesondere die Erziehungswissenschaft des deutschen Sprachraums kennzeichnet (vgl. P.Menck 1995). Im anglo-amerikanischen Sprachraum werden didaktische und methodische Aufgaben- und Fragestellungen vorwiegend im Bereich der Pädagogischen Psychologie thematisiert (vgl. etwa Gage/Berliner 1977). Über die wissenschaftssystematischen und wissenschaftshistorischen Hintergründe (z.B. anderer Verlauf der Herbart-Rezeption) ist hier nicht abzuhandeln. Die Vermittlung der amerikanischen Problemsicht in den deutschen Sprachraum erfolgte im Rahmen der "Realistischen Wende" der Pädagogik vorwiegend durch H.Roth ("Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens", 1957), der allerdings bei seinem Ansatz nicht auf die in den USA vorherrschende behavioristische Lernpsychologie aufbaute, sondern dazu die lern- und denktheoretischen Befunde der deutschen Bewußtseinspsychologie (Gestaltpsychologie) heranzog.

Die Forderungen nach einem neuen Verständnis der Professionalisierung des Lehrer-Berufs (vgl. u.a. Giesecke 1987;  Koring 1989, 1992;  Terhart 1992) haben die Fragen der wissenschaftlichen Grundlagen des Lehrerhandelns aktualisiert. Die Diagnose des Wissenschaftsdefizits in der pädagogischen Praxis ist vielfach durchgeführt worden (vgl. u.a. Patry 1988, Heid 1990). Daß die Berufswissenschaft des professionell agierenden Lehrers eine  Wissenschaft von und Handlungstheorie für die pädagogische Praxis sein muß,  macht eine systematische Ordnung der Fülle von Einzelbefunden der Forschung und damit eine Komplexreduzierung ("Modellbildung") notwendig. B. Kraack hat dies als spezielle wissenschaftliche Leistung bezeichnet (vgl. Kraack 1987; aber auch Seel 1981). Die Suche nach den Berufswissenschaften des Lehrers trug wohl auch zur "Didaktik-Renaissance" bei.

 

2. Zum Begriff der Didaktik

Der Begriff  "Didaktik" ist in unterschiedlichem Umfang und Inhalt in Verwendung. Die Diskussion um diesen Begriff in allen Differenzierungen ist an dieser Stelle ebenfalls nicht nachzuvollziehen. Didaktik soll im folgenden als Wissenschaft vom und Handlungstheorie für das Lehren verstanden werden. Lehren ist von situationalen und institutionalen Rahmenbedingungen abhängig. In diesem Zusammenhang wird Lehren auf die Institution Schule bezogen und erscheint in der Variante des Unterrichtens. J.Dolch formulierte: "Unterrichten ist eine besondere, in unseren Kulturverhältnissen geradezu vorherrschend gewordene Sonderform des Lehrens, und dieses ist ja nichts anderes als ein Lernenmachen, d.h. ein Unternehmen, bei anderen Lernvorgänge herbeizuführen" (1961, S.19).

Für die Schule als besondere Lern-Formation, die sich nach Th. Schulze von anderen Lern-Formationen wie der lebensweltbezogenen, der fremdbezogenen und der technikbezogenen unterscheidet (vgl. Schulze 1993), sind folgende Sachverhalte charakteristisch:

In der Gegenüberstellung von "natürlichem" und "schulischem" Lernen lassen sich die Themen- und Problembereiche der Didaktik andeuten:

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Die Aufgabe, erfolgreiche Lernprozesse von "Schülern" (Lernenden in der Lern-Formation Schule) zu organisieren, erfordert die Bewältigung folgender Aufgaben vom Lehrer: Lernanlässe schaffen – Lernabläufe gliedern – Lernbeteiligung ermöglichen – Lernerfolge rückmelden – Lernergebnisse speichern – Lerntransfer vorbereiten.

Die allgemeine Zielorientierung schulischen Lernens erfolgt im deutschsprachigen Raum durch den Sachverhalt "Bildung". Der Mensch wird in eine Kultur (die auch ein Sozialsystem einschließt) hineingeboren. In einem lebenslang währenden Prozeß der Entwicklung, welcher physische Reifungs- und Verfallserscheinungen und psychische Lernvorgänge (Aneignung von bzw. Auseinandersetzung mit Kulturkomponenten wie Objekten, Institutionen und Ideen) umfaßt, formt sich die menschliche Persönlichkeit. Dieses Geschehen ist als "Bildung" zu betrachten und stellt ein Bündel von Lernprozesen dar.

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Das Wort "Bildung" bezeichnet aber auch – als Momentaufnahme im Verlauf der individuellen Persönlichkeitsentwicklung – ein Zustandsbild dieser vielfältigen Entwicklungs- und Lernprozesse. Diese Lernprozesse sollen – und damit ist "Bildung" als Idealvorstellung (Sozialnorm) angesprochen – zu einem Integral von Wissen und Denken (als Grundlage von Urteilsfähigkeit), Wollen (als Voraussetzung für Entscheidungsbereitschaft und Entscheidungsfähigkeit) und Können (als Befähigung zum gesellschaftsbezogenen verantwortlichem Handeln) führen. In allen Kulturen und Gesellschaften gelten gemeinsam anerkannte Grundideale der menschlichen Persönlichkeit, die Übertragung des deutschen Worts "Bildung" insbesondere in den anglo-amerikanischen Sprachraum ist aber schwierig (vgl. u.a. Kansanen 1995, Hopmann 1992, Brezinka 1998).

Die Lernprozesse, die in ihrer Gesamtheit den Bildungsprozeß darstellen, erhalten ihre Anstöße aus dem Umgang mit den Menschen und den Erfahrungen mit den Sachen. Die so enstehenden Lernprozesse sind in ihren Inhalten und Abläufen zufällig und ungeordnet (lebensweltbezogene Lern-Formation). In komplexeren und differenzierteren Kulturen und Gesellschaftssystemen reichen diese inhaltlich situationsbezogenen und im Ablauf oft mangelhaften Lernprozesse nicht aus, die Heranwachsenden zu vollwertigen Mitgliedern im Sinne gebildeter Menschen werden zu lassen. Daher werden Maßnahmen zur Förderung der Lernprozesse im Rahmen des Bildungsgeschehens durch die Schaffung eigener Institutionen und Professionen (schulische Lern-Formation) getroffen. In modernen, demokratisch verfaßten Gesellschaften gilt diese Zielvorstellung des gebildeten Menschen egalitär (für alle Mitglieder), betrifft inhaltlich die für alle Menschen wichtigen Lebens- und Überlebensfragen ("Schlüsselprobleme") und richtet sich auf die Entfaltung aller Befähigungen (vgl. Klafki 1985).

Diese Überlegungen führen zu einem spezifischen Verständnis von Didaktik. Sie wird als Disziplin verstanden, deren Aufgabe die wissenschaftliche Darstellung und die handlungstheoretische Grundlegung der institutionalisierten und organisierten Lernprozesse zur Förderung von Bildung darstellt.

Für die Konzeption didaktischer Modelle und Theorien haben sich drei wesentliche Zugangsformen herausgebildet, je nachdem, ob die Intention, das Phänomen oder die Funktion des Unterrichts (als Lehr-Lern-Zusammenhang) forschungs- und entwicklungsmäßig prioritär erscheint.

Der bildungstheoretische Zugang setzt bei der Zielfrage (und den Inhalten als Mittel der Zielerreichung) an. Diese Richtung entwickelte sich von einer hermeneutisch-pragmatischen Didaktik der geisteswissenschaftlichen Pädagogik (Weniger 1930/1957; Klafki 1963) zur kritisch-kontruktiven Didaktik als Teil einer kritischen Erziehungswissenschaft (Klafki 1985). Für die Untersuchung und Planung von Unterricht in der Praxis werden zunächst Hilfen zur Bestimmung und Bewertung der Bildungsinhalte ("Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung", 1963) zur Verfügung gestellt, die Fragen des Lehrverfahrens blieben weitgehend ausgeklammert. Die emanzipatorischen Absichten der kritisch-konstruktiven Didaktik legten nahe, den Fragen der Lernzielkontrolle und des Lernverlaufes mehr Beachtung zu schenken, was im "Perspektivenschema zur Unterrichtsplanung" (1985) ihren Niederschlag fand.

Beim unterrichtsanalytischen Ansatz, der einem empirisch-sozialwissenschaftlichen Verständnis der Pädagogik verpflichtet ist, betrachtet man den in der Realität vorzufindenden Unterricht im Hinblick auf identifizierbare Faktoren, die beschrieben und in ihrer Interdependenz erläutert werden (Heimann  1962, Heimann/Otto/Schulz 1965). Das Instrument der Analyse von Unterricht sollte auch die Basis für die Unterrichtsplanung liefern. Dieser Anspruch wurde jedoch nicht realisiert. "In der Lehrtheoretischen Didaktik von 1965 ist das Hauptanliegen ihrer Autoren ungelöst geblieben: der Übergang von der Unterrichtsanalyse zur Unterrichtsplanung" (Jank/Meyer 1991, S. 204). In der Weiterentwicklung diese Ansatzes durch W. Schulz entstand eine Didaktik als "Wissenschaft vom emanzipatorisch relevanten, professionell pädagogischen Handeln im Unterricht und Schule" (Schulz 1980, S. 48).

Aus dem Blickwinkel eines lerntheoretischen (lernpsychologischen) Ansatzes der Didaktik soll Unterricht in der Orientierung an den Lernprozessen der Schüler gestaltet werde. "Die wissenschaftliche Didaktik stellt sich die Aufgabe, aus der psychologischen Kenntnis der Vorgänge geistiger Formung diejenigen methodischen Maßnahmen abzuleiten, welche für die Entwicklung der Prozesse am besten geeignet sind" (Aebli 1963, S.15). H.Aebli kann als einer der wichtigsten Repräsentaten dieser Richtung der Didaktik gelten (Aebli 1963, 1983/1987).

Zu den Vermittlern gestaltpsychologischer Befunde der Berliner Schule in die Didaktik auch der bereits erwähnte H.Roth ("Erzieht unser Unterricht zum produktiven Denken?" und "Pädagogische Auswertung der Psychologie des Lernens", in Roth 1957). Auf W.Guyer ("Wie wir lernen", 1952) wird von ihm verwiesen; dessen Beziehung zu den Gestalttheoretikern ist mangels ausführlicherer Literaturverweise jedoch nicht nachzuvollziehen. "Faßt man" – so H.Roth 1959, S. 219) – "das Lernen als eine Ablauf in der Zeit auf, so ergibt sich folgende Gliederung: 1. Stufe der Motivation, 2. Stufe der ersten Schwierigkeiten (Probierphase), 3. Stufe der Lösung, 4. Stufe des Tuns und Ausführens, 5. Stufe des Behaltens und Einübens, 6. Stufe des Bereitstellens, Bereithabens und der Integration des Gelernten."

1957 erschien auch F.Winnefelds Buch "Pädagogischer Kontakt und pädagogisches Feld". Trotz des umfassenderen Titels sind die Beiträge in diesem Buch auf die Unterrichtsforschung bezogen. Das vorwiegend untersuchte pädagogische Feld ist die Schulklasse. Der Begriff "Feld" gibt den Hinweis auf F.Winnefelds Hauptgewährsmann der Berliner Gestaltpsychologie, auf K.Lewin. Nach F.Winnefeld weist die Lernhandlung vier Phasen auf: 1. Es entsteht ein gerichtetes Antriebsverhalten. – 2. Der Handlungsablauf stößt Hindernisse, der Handelnde erfährt einen Widerstand. – 3. Der Widerstand wird durch Einsatz besonderer Mittel überwunden, das Ziel wird erreicht, die Handlungsspannung sinkt ab. – 4. Die Erfahrung eines solchen Handlungsablaufs wird in die Persönlichkeitsstruktur aufgenommen und spätere Handlungen werden von dieser Strukturveränderung beeinflußt. "Zu einer ähnlichen Phasenfolge gelangen alle modernen Darstellungen des Lernvorganges" (Winnefeld 1959, S. 96).

In diesem Zusammenhang ist nochmals auf H.Aebli zu verweisen, der seine "Psychologische Didaktik" (1963; ursprünglich in Französisch "Didactique psychologique", 1951) zunächst als didaktische Auswertung der Psychologie von J.Piaget versteht. Bei der Behandlung des problemlösenden Lernens stellt er jedoch den Bezug zur Gestaltpsychologie her (vgl. 1962, S.91). Auch in seiner Weiterentwicklung der Didaktik ("Zwölf Grundformen des Lehrens – Eine allgemeine Didaktik auf psychologischer Grundlage" 1983, S. 280 f.) kommt dies zum Ausdruck. Problemlösendes Lernen wird als die typische Form schulischen Lernens verstanden und als die durch die Didaktik zu fördernde und zu steuernde Aktivität von Schülern gesehen. H.Aebli fordert daher, "daß der Lehrprozeß diese vier Stufen durchlaufe: problemlösendes Aufbauen, Durcharbeiten, Üben und zur Anwendung anleiten" (1983, S. 275).

Neben diesen, den Ablauf des Unterrichtsprozesses (Makrostruktur) betreffenden Überlegungen – im Sinne F.Winnefelds kann er als eine komplexe Handlungsgestalt, als pädagogischer Ganzvorgang betrachtet werden – macht Winnefeld aber auch auf die Notwendigkeit der Identifikation von Teilkomplexen und Kleineinheiten im Unterricht aufmerksam. Insbesondere für die Erfassung und Beschreibung des unterrichtlichen Interaktionsgeschehens sind kleinere (Mikrostruktur) Einheiten notwendig. Er weist als kleinste sinnvolle Ganzheit des zwischenmenschlichen Geschehens im pädagogischen Feld (der Schulklasse) die "Kontakteinheit" auf. Das Kontaktgeschehen ist mindestens zweipolig (vgl. 1957, S.58). Der pädagogisch relevante, das Lerngeschehen fördernde Einzelkontakt umfaßt den Impuls (Denkanstoß) des Erziehers und die Verhaltensreaktion des Zöglings nach der gedanklichen Impulsverarbeitung. Beim Lernen im sozialen Verband der Schulklasse können Denkanstöße für Schüler auch von Mitschülern ausgehen und diese auch als Adressaten der reaktiven, aber auch spontanen Verhaltensäußerungen auftreten. Als Kontakttendenzen, die in den Impulsen des Lehrers zum Asusdruck kommen, treten in erster Linie "verlaufsgestaltende" und "stofftragende" Maßnahmen auf (vgl. Winnefeld 1957, S.60). Das Kontaktverhalten des Lehrers kann nach verschiedenen Kriterien untersucht und bewertet werden. Solche Kriterien können sein: der Grad, die Intensität der Steuerung – die Sachbezogenheit der Kontakte – die Größe der Adressantengruppe – das Ausmaß der Beachtung der einzelnen Schüler – das Ausmaß der zugelassenen Eigenaktivität der Schüler – die Art der sozialen Rezeption der Schüler – der Reichtum an Kontaktformen (vgl. Winnefeld 1959, S.107).

Neben  solchen in erster Linie die Verfahrensfragen des Unterrichts betreffenden Beiträgen gestalttheoretisch beeinflußter didaktischer Überlegungen sind schließlich auch Arbeiten zu erwähnen, die sich mit Fragestellungen beschäftigen, die für die Inhaltsseite des Unterrichts relevant sind. Hier sind insbesondere Untersuchungen zu erwähnen, die für die Begründung des exemplarischen Lehrens von Bedeutung erscheinen. So beschäftigte sich A.Wellek mit der Frage: "Das Prägnanzproblem der Gestaltpsychologie  und das Exemplarische in der Pädagogik" (1959) sowie "Ganzheitspsychologie und Ganzheitspädagogik als Wegbereiter für das Exemplarische" (1969). Auch H.Roth widmet einen Beitrag in seinem bereits genannten Buch (1957) diesem Thema: "Orientierendes und exemplarisches Lehren".

F.W., Kron, (1994 2) listet nicht weniger als 30 didaktische Modelle auf, die sich in den deutschsprachigen Veröffentlichungen identifizieren lassen – und erreicht damit noch nicht die erwünschte Vollständigkeit. Diese Modelle müssen als Hypothesen für Instrumente zur optimalen Untersuchung und Planung von Unterricht verstanden werden, deren Überprüfung als wirksame Handlungstheorie durch empirische Forschung jedoch noch weitgehend aussteht und die damit den Status einer Theorie des Unterrichts noch nicht erreicht haben.

 

3. Umrisse einer Didaktik der Bildungsschule

3.1. Übersicht

Eine Didaktik als Theorie bildungsprozeßfördernden schulischen Unterrichtens hat sich vordringlich mit Inhalts- und Verfahrensfragen des Unterrichts auseinanderzusetzen. Ihr Ziel ist es, Lernprozesse zu gestalten, die Transferleistungen ermöglichen und begründen, welche ihrerseits den gebildeten Menschen angesichts gesellschaftlich relevanter Herausforderungen und Leistungserwartungen charakterisieren. Transferorientierung ist ein Grundprinzip des Unterrichts in der Bildungsschule (vgl.zum folgenden auch Seel 1984, 1997). Der Zusammenhang kann durch die folgende Grafik veranschaulicht werden.

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3.2. Der Aspekt der Inhaltsfragen des Unterrichts

3.2.1. Die Unterrichtsfächer und ihr Bildungssinn

Als Unterrichtsfächer erscheinen die für die Heranwachsenden als wesentlich erachteten Lernbereiche im Lehrplan bzw. Curriculum. In ihnen sollen die Schüler die Verhaltensformen und Verhaltensdimensionen erwerben, die sie zu kritischen und produktiven Gliedern der Gesellschaft machen. Welche Lernbereiche (Unterrichtsfächer) in einem Schulsystem aufscheinen, hängt von der jeweils gegebenen gesellschaftlich-kulturellen Situation ab. Der traditionelle Fächerkanon unserer Schulen ist "weder historisch zwingend noch systematisch homogen oder gar universal und damit überzeitlich gültig" (Kramp 1960, S. 345). Er entstand im Zusammenspiel von kulturgeschichtlicher Tradition und aktuellen gesellschaftlichen Bedürfnissen und ist das Ergebnis eines bildungspolitischen Interessenausgleichs. Wie gut diese Unterrichtsfächer die lebensleistungsbereiche tatsächlich noch repräsentieren, ist immer wieder zu untersuchen. Es lassen sich Aspekte des Lebens in der Gegenwartsgesellschaft aufweisen, die Anforderungen an jeden Menschen stellen (vgl. H.v.Hentig: "Lernziele der Gesamtschule", 1969, aber auch W.Klafkis "Schlüsselprobleme" der Allgemeinbildung heute).

Unterrichtsfächer sind – auch wenn Namensgleichheit vorliegt – keine Ausschnitte oder Auszüge aus Wissenschaften. Die Gegenstandsbereiche stimmen oft nicht überein. Oft decken nur mehrere Wissenschaften den Bereich eines Unterrichtsfaches ab. Andererseits werden wichtige Aufgabenbereiche mancher Unterrichtsfächer von den einschlägigen Wissenschaften überhaupt nicht wahrgenommen (vgl. das Unterrichtsfach Deutsch als Muttersprache und die wissenschaftliche Disziplin der Germanistik). Dabei kommt zum Ausdruck, daß Unterrichtsfächer oft früher entstanden sind als die modernen Wissenschaften. Der schulische Sprachunterricht ist noch immer stärker am mittelalterlichen Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) orientiert als an der modernen Philologie. Die Unterrichtsfächer sind in ihrem ursprünglichen Verständnis Künste ("artes") und Kunden. Sie stellen eigenständige Lehrgemenge zur Einführung in lebensbedeutsame Zusammenhänge und Verhaltensregelungen dar. Unterrichtsfächer unterscheiden sich daher auch in ihrer Zielsetzung von den Wissenschaften. Die Wissenschaft ist auf auf vollständige und methodisch angemessene Erfassung  und systematische Ordnung aller Gegebenheiten eines abgrenzbaren Wirklichkeitsbereichs ausgerichtet. Unterrichtsfächer repräsentieren spezifische Formen der Begegnung und Auseinandersetzung mit bedeutsamen Wirklichkeitsbereichen. Ihr Ziel ist die Aufschließung bestimmter grundlegender (fundamentaler) und verhaltensbestimmender Erfahrungen. Die Fundamentalerfahrungen – man kann sie im "Bildungssinn" des Unterrichtsfaches zum Ausdruck bringen – konstituieren und legitimieren einen möglichen Lernbereich als Unterrichtsfach. Eine Reihe verschiedener unterrichtlicher Bemühungen kann auf Grund des ihnen gemeinsamen Abzielens auf eine bestimmte Fundamentalerfahrung zum Unterrichtsfach zusammengeschlossen werden. Im Beispiel: Der Bildungssinn des Unterrichtsfaches Geographie (Erdkunde) kann in der Erhellung der Fundamentalerfahrung gesehen werden, daß überall auf der Welt die Menschen gezwungen sind, sich in der Auseinandersetzung mit den Raumfaktoren (Bodengestalt, Bodenbeschaffenheit, Klima etc.) ihre Lebensmöglichkeiten zu sichern und zu gestalten. Im Dienste der Aufschließung dieser grundlegenden Erfahrung stehen sämtliche Veranstaltungen des schulischen Geographieunterrichts. Die Fundamentalerfahrungen sind nicht als Wissensergebnisse des Unterrichts abfragbar. Einschlägiges Sachwissen garantiert noch nicht, daß diese bildungswirksamen Grunderlebnisse erreicht wurden. Sie lassen sich als nicht-operationalisierbare bzw. nicht-kontrollierbare Lernziele nur über die Verwirklichung eines entsprechend vertiefenden Unterricht indirekt anstreben. Die Bildungswirksamkeit eines Unterrichtsfaches besteht somit in dem Beitrag, den es zum Aufbau des Verantwortungshorizontes erbringt, innerhalb dessen der Mensch zu leben, zu entscheiden und zu handeln hat.

 

3.2.2. Das exemplarische Prinzip als Grundlage der thematischen Strukturierung

Die Gegenstandsbereiche, aus denen die Unterrichtsfächer ihre Inhalte und Aufgaben nehmen, enthalten Lerngegenstände in so großer Zahl, daß ihre vollständige Einbeziehung in den Schulunterricht unmöglich ist. Es ist eine konstruktive Stoffbeschränkung notwendig. Diese kann durch die Strategie des exemplarischen Lehrens erreicht werden. Bei der Bestimmung des exemplarischen Lehrens ist davon auszugehen, daß die Fülle der Lerngegenstände innerhalb der einzelnen Unterrichtsfächer nach ihnen strukturellen Ähnlichkeiten gruppiert werden können. Die einzelnen Phänomene und Fälle erweisen sich als Ausprägungsformen allgemeiner Gesetzmäßigkeiten. "Es ist immer im konkreten Einzelnen etwas Allgemeines da, für das der vorliegende Einzelfall eine der möglichen Konkretisierungen darstellt. Wir erfassen im Einzelfall und durch ihn Allgemeingegebenheiten" (Hörmann 1964, S. 269).

Innerhalb eines jeden durch die Gemeinsamkeit der Fundamentalerfahrung als Unterrichtsfach konstituierten Gegenstands- und Wirklichkeitsbereiches können zahlreiche grundlegende Gesetzmäßigkeiten, typische Strukturen, charakteristische Ausprägungsformen aufgewiesen werden, die die Fülle der Individualitäten gliedern. Sie stellen die elementaren Bestände eines Unterrichtsfaches dar. Jedem Gegenstandsbereich sind sind ferner ganz bestimmte, besonders zielführende Vorgangs- und Arbeitsweisen eigen. "Das Elementare ist das am Besonderen zu gewinnende oder am Besonderen erscheinende Allgemeine, und dieses Allgemeine erweist sich im Elementaren als das anschaulich erfaßte Prinzip, Gesetz, Sinnzentrum , als der tragende Wirkungs-, Bedeutungs- oder Zweckzusammenhang des Besonderen oder als Methode, mit deren Hilfe man sich Besonderes gleicher Struktur zugänglich machen kann" (Klafki 1961, S. 132). Das exemplarische Lehren rechnet ausdrücklich mit einem Übertragungs- oder Transfereffekt. "Die emplarische Repräsentation läßt aktuell Abwesendes potentiell anwesend sein. Sie entlastet damit den Lehrgang, indem sie seine Stoffmengen beschränkt, bereichert ihn aber zugleich durch ein potentielles Beziehungsgefüge von fortsetzbaren Linien, Parallelen  und Analogien" (Scheuerl 1958, S. 82).

Das Problem der Ähnlichkeit, das sich dabei ergibt, kann jedoch nur mit gestaltpsychologischen Argumenten befriedigend erklärt werden. Es wurde nachgewiesen, daß "die strukturellen Züge der Situation dafür verantwortlich sind, daß über einen kognitiven Prozeß (Einsicht) das Lernen der einen Lösung für die Lösung strukturell ähnlicher Probleme einen Gewinn bedeutet. Die strukturelle Ähnlichkeit besteht dabei in den "Eigenschaften der Glieder im Ganzen einer Organisation" (Bergius 1964, S. 315 f.). In der neuen, aber verwandten, strukturähnlichen Situation ist die wesentliche Leistung des Menschen "das Wahrnehmen eines vorhandenen oder das Stiften einer möglichen Analogie" (Scheuerl a.a.O., S. 77). Im anderen, neuen Material muß die Gestalt wiedererkannt werden. "Im Erkennen wird Strukturgleiches einander zugeordnet" (Witte 1960, S. 407).

 

3.3. Der Aspekt der Verfahrensfragen im Unterricht

Bei den Verfahrensfragen stehen zwei besonders im Vordergrund:

1) Wie ist der Ablauf des Unterrichts zu strukturieren, um den Schülern den Vollzug des Lernprozesses zu ermöglichen bzw. zu erleichtern ?  Es geht darum, aus der Verlaufsgestalt des denkenden Lernens eine Verlaufsgestalt des Unterrichts zu gewinnen.

2) Wie ist die Lernsituation im Lernverband der Schulklasse zu arrangieren? Es geht darum, individuelles und aktives Lernen der einzelnen Schüler im Lernkollektiv zu ermöglichen.

 

3.3.1. Die Gestaltung des Unterrichtsprozesses

Legt man das lerntheoretische Modell der Gestaltpsychologie dem Unterrichtsprozeß zugrunde, so kann der bei den Schülern anzustoßende und anzuleitende Lernprozeß als Problemlösungsprozeß betrachtet werden. "Einsicht, Strukturierung des Gegebenen und Umzentrierung sind kognitive Prozesse, Problemlösungen sind Handlungen" (Bergius 1964, S. 551). Ausgang ist das Problemerleben. "Ein Problem entsteht z.B. dann, wenn ein Lebewesen ein Ziel hat und nicht weiß, wie es dieses Ziel erreichen soll. Wo immer der gegebene Zustand sich nicht durch bloßes Handeln (Ausführen selbstverständlicher Operationen) in den angestrebten Zustand überführen läßt, wird das Denken auf den Plan gerufen. Ihm liegt es ob, ein vermittelndes Handeln allererst zu konzipieren" (Duncker 1935, S. 1). Da mit der von einer Problemsituation ausgehenden Motivation ausdrücklich gerechnet wird, soll die Ausgangslage des unterrichtlich geleiteten Lernens das Erleben, das Erfahren einer problematischen Situation sein. "Ein Schüler, der von einem Problem durchdrungen ist, will etwas wissen oder lernen. Wer ein Problem hat, ist zum Lernen motiviert" (Aebli 1983, S. 293).

Der didaktische Begriff des Problems darf nicht zu eng verstanden werden. Dem Schüler kann – neben der Erfahrung, eine vorliegende Aufgabe wegen mangelhafter oder fehlender Kenntnis von Regeln oder Materialerfahrung nicht lösen zu können – auch ein Problem sein,

Man kann sich die Frage stellen, ob das Problemlösen im Unterricht bloß ein didaktisches Mittel sei. Sein Zweck wäre dann vor allem, dem Schüler den Stoff schmackhaft zu machen. Demgegenüber ist zu betonen: Problemlösen hat Eigenwert. Wenn Unterricht darauf ausgerichtet ist, werden den Schülern Verfahren (Methoden, Heuristiken) vermittelt, die in Schule und Alltag generell wichtig und hilfreich sind. Die Schüler erfahren, was Suchen und Forschen, Denken und Erkennen bedeuten. Sie erwerben Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Der Lehrer, der problemlösendes einsichtiges Lernen im Unterricht anregt und fördert, entspricht damit dem pädagogischen Auftrag, das Kompetenzgefälle zwischen Erzieher und Zögling zu reduzieren und damit den Lernenden zu emanzipieren.

Das Strukturmodell des Unterrichtsprozesses, der am problemlösenden Lernen orientiert ist, ist das Ergebnis didaktischer, nicht psychologischer Theoriebildung. Der Didaktiker weiß um die Ablaufgesetzmäßigkeiten des Lernens und entwickelt auf dieser Grundlage  unter Berücksichtigung der komplexen Rahmenbedingungen von Schulunterricht die Theorie des Lehrens, in welcher eine stimmige Folge von Schritten oder Phasen des Unterrichts ausgearbeitet wird.

Der Vorwurf, daß auf diese Weise auch im problemlösenden Unterricht wieder ein "Formalstufen"-Schema aufgestellt wird – das der Herbartianer ist zwar theoretisch in Verruf, praktisch aber noch immer da und dort in Verwendung – kann und soll nicht verschwiegen werden. Ihm ist aber offensiv zu begegnen (vgl. dazu auch Aebli 1983, S. 24). Es geht tatsächlich um ein modernes Konzept weitgehend inhaltsunabhängiger (d.h. "formaler") und daher in jedem Unterrichtsprozeß zu durchlaufender Schritte des Lehr-Lern-Geschehens.

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Der erst Abschnitt des Unterrichtsprozesses, der vom Beginn der Bemühungen, den Schülern eine Lernaufgabe nahzubringen, bis zur Problemeinsicht reicht, kann als Phase der Problembegegnung beziechnet werden. Am Anfang steht das Mißlingen eines Handelns, die Erfahrung des Noch-nicht-Könnens. Interesse am Lerngegenstand kann durch Überraschung (Widersprüche zwischen Lerngegenstand und bisheriger Alltags- oder Schulerfahrung), Zweifel (Widersprüche zwischen verschiedenen Meinungen und Ansichten gegenüber einem Sachverhalt) oder Ungewißheit (Lücken in Erklärungs- oder Durchführungsstrategien) entstehen. Dadurch werden Aufmerksamkeit, Zuwendung und Eingriff hervorgerufen. Aufgaben, die in eine lebensnahe Situation eingekleidet und von den Schülern gefunden werden, haben besodnere Attraktivität. Es wird dann leichter möglich sein, "Ziel-Zug-Situationen" (vgl. Winnefeld 1959, S. 103) herzustellen und die Sogkraft des angestrebten Lenrergebnisses zu nützen.

Daran schließt sich der zweite Abschnitt des Unterrichtsprozesses, die Phase der Problemlösung. Sie umfaßt alle Bemühungen, die der Einsichtgewinnung dienen. Im ersten Teil werden eher ungesteuerte Lösungsbemühungen der Schüler überwiegen, die anschließend immer deutlicher in systematische (geordnete) und eventuell stärker gesteuerte Lösungssuche übergehen. Das Erkennen einer problemgerechten Lösung mit ihrem mehr oder weniger deutlich ausgeprägten Charakter eines Aha-Erlebnisses schießt die zweite Phase ab. Wahrgenommene Wissensdefizite führen in dieser Phase zu weiterer Materialsammlung durch Heranziehen von Texten, Durchführen von Experimenten, Befragung von Fachleuten. Auch der Vortrag des Lehrers hat an dieser Stelle des Unterrichts seinen Platz. Das Vermehren und Ergänzen des Materials in der Problemsituation ist nicht bloß ein kumulatives Erweitern des Bestandes. Durch das Hinzukommen des Neuen ändert sich auch die Organisation des Alten (vgl. Müller 1964, S. 126).  

Die Phase der Durchführung (Roth nennt den analogen Abschnitt seiner Unterrichtsgliederung Stufe des Tuns) bringt die Umsetzung des Erkannten, Gedachten und Gewußten in das situationsgerechte Handeln. Es erfolgt damit die Erprobung der eingesehenen Lösung. Ein Können wird erfahren, die vom Problemerleben verursachte Spannung löst sich. Der Lernprozeß im engeren Sinn wird abgeschlossen. Das Realisieren der Problemlösung, das Durchführen der Aufgabe hat für den Behaltenseffekt große Bedeutung. Erst durch den handelnden Vollzug wird das Lernergebnis emotional verankert, der Gedächtnisinhalt wird zur Erfahrung. "Tun dürfen, was man eingesehen hat, ist wie eine Belohnung, die man auskosten darf" (Roth 1957, S. 97). Das Erfolgserlebnis stärkt das Selbstvertrauen des Schülers. Es muß als ein wesentlicher Mangel des traditionellen Schulunterrichts angesehen werden, daß diese Phase in der Unterrichtsartikulation oft fehlt. Am Ende jeder Unterrichtseinheit müßte für den Schüler klar sein, was er gelernt hat bzw. ob der das angestrebte Ziel erreicht hat. Auch für den Lehrer ist eine solche Rückkopplung wichtig. Er kann daraus wichtige Schlüsse für die weitere Gestaltung des Unterrichts ziehen. Diese "natürliche" Überprüfung des Lernerfolgs als Abschluß der Unterrichtseinheit ist jedoch von den ausdrücklich zu veranstaltenden Leistungsprüfungsaktionen streng zu unterscheiden.

In natürlichen Lernsituationen endet der Lernprozeß mit der Durchführung der neu erschlossenen Handlungsform zur Lösung des anstehenden Problems. Der schulische Lernprozeß ist aber erst abgeschlossen, wenn die erworbene Denk- oder Handlungsform gefestigt ist und für zukünftige Situationen (höhere Lernebenen in der Schule, lebenspraktische Herausforderungen) bereitsteht. Die in der Lösungsphase gefundene Struktur, die sich in der Durchführung der Aufgabe bewährt hat, "muß befestigt und geläufig gemacht werden" (Reumuth 1955, S. 40). Im schulischen Lernprozeß wird daher eine Phase des Übens an die Durchführung anschließen. Neben der Festigung muß aber in dieser Phase auch die Übertragung vorbereitet und eingeleitet werden. Die Lernenden sind darin zu schulen, in anderen, neuen Zusammenhängen  analoge Strukturen zu entdecken und gewonnene Lösungen angemessen zu transferieren. Denn "wenn eine Gestaltqualität erlebt ist", muß nicht auch schon "die Transposition gelingen" (Witte 1960, S. 407).

 

3.3.2. Die Sicherung individuellen Lernens im Klassenverband

Die zweite Aufgabe im Verfahrensbereich des Unterrichts ist die Entwicklung von Konzepten zur optimalen Ermöglichung und zur effizienten Sicherung des individuellen Lernens der einzelnen Schüler im sozialen Lernverband der Schulklasse. Der Lehrer ist mit einem Bündel gleichzeitig ablaufender unterschiedlicher Schüler-Lernprozesse konfrontiert. Zwei für die Situation des Schülers relevante Aspekte sind dabei zu beachten:

In dieser Reduzierung des Komplexitätsgrades der Kontaktformenanalyse (vgl. Winnefeld 1959, S. 107) werden die Sozial- und Interaktionsformen des Unterricht in der folgenden Tabelle dargestellt.

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Die Möglichkeit, sich an der Lernprozeßsteuerung zu beteiligen und damit den Unterrichtsablauf zu beeinflussen, erhöht sich für die Schüler mit der Abnahme der steuernden Einflußnahme durch den Lehrer und der Reduzierung der Lerngruppengröße. Die beste Möglichkeit zur Realisierung einsichtsorientierter problemlösender Lernprozesse für alle Schüler unter Berücksichtigung vertretbarer Unterschiede in der Lernzeit bietet der Impulsunterricht. In dieser Unterrichtsweise bildet die Klasse eine Gesprächsgemeinschaft, in welche sich auch der Lehrer als Partner eingliedert. Er beteiligt sich am Gespräch wenn nötig durch richtungweisende, erklärende oder herausfordernde Beiträge. läßt sich aber davon leiten, sich möglichst wenig in das Gespräch der Schüler einzuschalten.

Damit schafft der Lehrer die günstige pädagogische Atmosphäre des demokratischen Führungsstils (vgl. Lewin et al. 1939), die durch folgende Momente gekennzeichnet werden kann: "Geringer Rangabstand des Gruppenleiters von der Gruppe, indem er sich möglichst in diese eingliedert; Gruppe muß die Gewißheit über die zukünftigen Ziele erhalten; Erlaubnis der Zusammenarbeit jedes Gruppenmitglieds mit jedem; Gruppenleiter muß bei Äußerungen von Lob und Tadel möglichst objektiv sein und Gründe dafür angeben" (Winnefeld 1959, S. 100). Besonders indirekte Impulse motivieren das eigenständige und unabhängige Denken der Schüler und zielen auf das Verhalten mündiger Menschen, nämlich Aufgaben selbständig zu sehen und sachgerecht in Angriff zu nehmen. Fehlformen im lernprozeßsteuernden Kontaktverhalten sind u.a. Impulskumulation (Aneinanderreihung von Denkanstößen ohne Reaktionsmöglichkeit für die Schüler), unangemessene (zu hohe oder zu geringe) Impulsfrequenz, zu geringe Kontaktkapazität und unbegründbare Kontaktrichtungskonstanzen (vgl. Winnefeld 1957, S. 127 ff.).

Auch gut geplanter und sorgfältig durchgeführter Impulsunterricht im Klassenverbands kann jedoch nicht sicherstellen, daß jedem Schüler ein erfolgreicher Lernprozeß gelingt. Abhängig von seiner Kontaktkapazität wird der Lehrer mehr oder weniger ausgeprägt seine steuerenden Einflußnahmen an einem fiktiven Durchschnittsschüler orientieren. Maßnahmen der inneren Differenzierung (vgl. Herber 1998) müssen zur stärkeren Individualisierung der Lehr-Lern-Prozesse eingesetzt werden.

Eine intensivere Einbeziehung aller Schüler der Klasse in das Lerngeschehen ist durch die Bildung von Lerngruppen möglich. In der Gruppenarbeit werden die Chancen der aktiven Beteiligung aller Schüler erhöht, auch die Verantwortlichkeit der Schüler für das Lerngeschehen wird stärker angesprochen. Die Impulse während der Gruppenarbeit kommen unmittelbar von den Mitschülern in der Gruppe, mittelbar auch vom Lehrer durch mediale Hilfen. Die "ambulante" Zuwendung zu einzelnen Lerngruppen ermöglicht dem Lehrer das genauere Eingehen auf die  Lernschwierigkeiten einzelner Schüler.

In der abschließenden Zusammenfassung der Gruppenleistungen im Klassenverband kommt es zur Präsentation, Kritik und Evaluation der Ergebnisse der Arbeitsgruppen. Die Gruppenberichte stellen in diesem Fall die Brücke von der Phase der Problemlösung zur Phase der Durchführung, des Vollzugs dar. Für den Lehrer, aber auch für die Mitschüler ergibt sich dabei die Möglichkeit zur Bewertung der Arbeitsergebnisse, zur Identifikation und Korrektur von Fehlern, zur Ergänzung von Bruchstücken und zur Vervollständigung von Lücken. Falls notwendig, wird damit in die Phase der Problemlösung zurückgegriffen, um das Gesamtergebnis des Lernprozesses der ganzen Klasse zu optimieren.

Aus der arbeitsteiligen Gruppenarbeit läßt sich durch komplexere Aufgabenstellung im Rahmen eines Gesamtthemas  und durch eine Betonung der Produktorientierung des ergebnisses die Entwicklung zur didaktischen Großform des Projektunterrichts vorantreiben.

 

4. Abschließende Anmerkung

Der hier gebotene Rahmen läßt es nicht zu, ausführlicher auf die Fragen der Umsetzung der didaktischen Theorie in Unterrichtsplanung und Unterrichtsauswertung einzugehen. Es muß jedoch in diesem Zusammenhang wenigstens auf die Bedeutung des Faktors "Zeit" hingewiesen werden. Es ist eine realistische Schätzung der zur Verfügung stehenden Unterrichts- und Lernzeit schon der Jahresplanung zugrunde zu legen. Lernen der Schüler vollzieht sich in der Zeit, Lernerfolg erfordert individuell unterschiedlich Zeitaufwand (vgl. z.B. das methodische Konzept des "mastery learning"). Die didaktisch definierte Unterrichtseinheit erfordert spezifische zeitliche Perioden. Problemlösendes, entdeckendes Lernen stellt den 50 Minuten Takt des "Fleckerlteppich"- Stundenplans in Frage und macht Blöcke und Epochen notwendig.

 

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