Lehrtheoretische Didaktik - Hamburger Modell
Wolfgang Schulz 1980


2. Umrissplanung für eine Unterrichtseinheit

Die Lehr-Lern-Gruppe (mehrere Lehrer, Schüler, Eltern, [und Ausbildern, P.P.]) hat sich über eine Unterrichtseinheit zu verständigen, die Lernen unter der Perspektive der Hervorbringung, der Entfaltung, der Wiederherstellung handlungsfähiger Subjekte ermöglichen soll, unter den Bedingungen von Schule in dieser Gesellschaft. Das heißt, sie wird sich zu verständigen haben über

  1. die unter dieser Perspektive relevanten unterrichtlichen Handlungsziele, hier Unterrichtsziele genannt,
  2. die Ausgangslage der lernenden Schüler und ihrer mitlernenden Lehrer,
  3. die Wege und die Mittel, zusammengefasst, dieVermittlungsvariablen , die von dieser Ausgangslage zu diesen Zielen helfen sollen,
  4. dieErfolgskontrollen, zumindest die, die Schülern und Lehrern die Selbstkorrektur ihres Handelns ermöglichen.

Diese Verständigung muss unter den Bedingen des Schulsystems gesucht werden, das regelmäßig Unterricht für alle zugleich ermöglicht und begrenzt und seinerseits gesamtgesellschaftlich bedingt ist. Deshalb ist die Verständigung immer eine Verständigung auch angesichts

  1. der institutionellen Bedingungen von Unterricht und Erziehung und damit
  2. der Produktions- und Herrschaftsverhältnisse, die die Institution Schule determinieren.


2.1 Differenzierung der Unterrichtsziele

Entfaltungsstufekognitive Dimension affektive Dimensionpsychomotorische Dimension
3. HabitualisierungÜberzeugungGesinnungGewohnheit
2. EntfaltungErkenntnisErlebnisFertigkeit
1. AnbahnungKenntnisAnmutungFähigkeit

Keine dieser Intentionen lässt sich anders als in Verbindung mit Themen verfolgen, mit geeignet erscheinenden Ausschnitten aus Natur und Gesellschaft, mit sozialen Beziehungen, in die man bei der Bearbeitung dieser Ausschnitte eintritt, mit Gefühlserfahrungen, die wertend verarbeiten, was die Auseinandersetzung mit Natur und Gesellschaft in sozialen Beziehungen bedeutet. Diese Überlegung ruft ins Bewusstsein: Intentionen didaktischen Handelns bezeihen sich immer auf einen Erfahrungsbereich; Kenntnisse, Erkenntnisse, Überzeugungen gewinnt man ebenso wie Fähigkeiten, Fertigkeiten, Gewohnheiten, bezogen auf Erfahrungsausschnitte, und welche Anmutungen, Erlebnisse, Gesinnungen dabei entstehen, ist von den Anmutungsqualitäten dieser Erfahrungsbereiche und nicht allein von den Absichten abhängig, in denen man sich lernend und lehrend ihnen zuwendet.

Die Themen, denen sich die Planenden, geleitet von ihrer edukativen Perspektive, unter bestimmten Intentionen zuwenden, sind z. T.

In jedem Falle sind sie so komplex, dass Auftraggeber und/oder Lehr-Lern-Gruppe Unterricht darüber überhaupt für erforderlich halten. Sie sind, gesteuert von der edukativen Perspektive und den spezifischen Intentionen,

Das gilt nun für thematische Strukturen, die aus der integrativen Betrachtung eines Lebenszusammenhanges entwickelt werden, wie im sogenannten situativen Ansatz, ebenso wie für thematische Strukturen, die an einer fachlich bereits vorgeklärten - an der "structure of the discipline" orientierten Thematik unterschieden werden können. In jedem Fall setzt die Lernabsicht der didaktisch handelnden Subjekte der Strukturierung des Gegenstandes eine Grenze, die aus dem Gegenstand allein nicht zu entwickeln wäre. Umgekehrt setzten die bei der Behandlung der Gegenstände herangezogenen wissenschaftlichen, künstlerischen und technischen Disziplinen der didaktischen Planungsleidenschaft eine Grenze durch deren Bindung an schon erarbeitete Kompetenzen. Diese zu erarbeiten ist eine spezifische Aufgabe der Fachdidaktik und kann deshalb hier nur global als Aufgabe bezeichnet werden. Daraus ergibt sich, daß eine von der Analyse einer Lebenssituation ausgehende, die zur Bewältigung erforderlichen Qualitäten bestimmende, von da her die Elemente ihres Lernprozesses findende Planungsgruppe ihre Arbeit zwar noch vom ungefächerten oder fächerübergreifenden situativen Ansatz her strukturieren kann, aber dann von schon vorbereiten Fragestellungen, Ergebnissen und Methoden der Disziplinen korrigieren lassen muss, um nicht in irrationalen Gesamtunterricht zu verfallen. Wo die fachspezifische Vorklärung aber als strukturbildend übernommen wird, wird der Bezug zur Lebenssituation der Lernenden korrigierend hergestellt werden müssen, wenn nicht irrelevant gelernt und wenn überhaupt selbstbestimmt und sozial verantwortbar Kompetenz erworben werden soll, für Sachklärungen in wünschenswerten sozialen Bezügen mit gefühlsmäßiger Bejahung.


2.2 Differenzierung der Ausgangslage

Für die Umrissplanung der einzelen Unterrichtseinheit sind, wenn eine Zielvorstellung besteht, vor allem folgende Gesichtspunkte bedeutsam:

Die Beantwortung dieser Fragen würde gegenbenfalls zu einer Revision der Zielsetzung, zu variierenden Vermittlungsvariablen und entsprechend veränderter Erfolgskontrolle führen.

Für die Umrissplanung einer Einheit, die zunächst von der konkreten Ausgangslage ausgeht, würde entsprechend gelten:


2.3 Differenzierung der Vermittlungsvariablen

  1. Methodische Modelle (Großformen)


    Methodische Modelle sind komplexe methodische Konzepte, die den Stil des Unterrichtsprozesses auf Zeit bestimmen, und für die Realisierung unterschiedlicher Zielvorstellungen mehr oder weniger geeignet sein können. Der von FLECHSIG erstellte "Göttinger Katalog didaktischer Modelle" beinhaltet demnach nur methodische Modelle, denn von einem didaktischen Modell kann erst dann gesprochen werden, wenn der Versuch eines Gesamtentwurfs für didaktisches Handeln vorgelegt wird.

    Methodische Modelle (Großformen) sind:

    Die begrenzte Auswahl erklärt sich daraus, dass Modelle, die den Lehr-Lern-Prozess vorwiegend medial vermitteln, unter "selbst lehrende Medien" behandelt werden.
  2. Phasierung des Unterrichtsprozesses


    Wenn es um die Aufarbeitung komplexer Zusammenhänge geht, ob eher heuristisch und kooperativ wie im projektorientierten Vorgehen, oder algorithmisch und in Individualkonkurrenz wie im Schulungskurs, - immer stehen die Planer vor dem Problem, daß nicht alles zu gleicher Zeit bearbeitet werden kann.

    Wenn die Lehr-Lern-Gruppe sich in der Planungsphase eines Projekts ihr Vorgehen erarbeitet, dann wird sie sich von den gegenständlichen Zusammenhängen der von ihr gewählten Thematik leiten lassen, so weit, wie das im Rahmen ihrer Intentionen und zur Wahrung der Sachgesetzlichkeit erforderlich ist; und ebenso wird sie die Eigentümlichkeiten des hier geforderten Prozesses als Lernzusammenhang, als psycho-physischen Prozeß zu berücksichtigen haben. Ihr Projektziel verhindert hoffentlich, daß sie sich auf diesem Wege verlieren; sie hat an der allgemeinen Grobstruktur von Projekten - Bedürfnisanalyse, Zielformulierung, Planung, Realisation, Beurteilung - Anhaltspunkte für ihre Arbeit. Was der Gruppe etwa an psychologischen Kenntnissen fehlt, wird sie zu einem Teil durch Sach- und Selbstbeobachtung im Zuge zielmotivierter, sozial gestützter Anstrengungen ausgleichen. Die Integration von fach- bzw. sachbezogener und person- bzw. lernprozeßbezogener Phasierung steckt ohnehin auch nach dem Urteil anderer noch in den Anfängen.

    Während im projektorientierten Planungsprozeß bereits die planende Phasierung der Lernarbeit Teil eben dieser Lernarbeit der Lernenden selbst ist, wird im schulungsorientierten Unterricht von Lehrern, von der Sache und/oder vom Lernprozeß her phasiert und in "bekömmliche Portionen" vorgegeben. Als Beispiel für eine Phasierung von der Sache her, wird die "Analyse des Klebevorgangs" leicht gekürzt angeführt:

    Unvermittelt verwandelt sich bei solcher Sachanalyse ein einfacher Vorgang in eine Sache mit fünffachem Anspruch, an dem ja in der Tat Schulanfänger fünfmal versagen könnten. Daraus wieder ergibt sich leicht ein fünfmaliger Vorkleber- und Kontrolleuranspruch des der Sache verpflichteten Lehrers; und unschwer kann man sich vorstellen, wie eine Weiterführung diese Anspruches bis zu den Themen der Sekundarstufe II eine Schule ergibt, in der die Fremdbestimmung der Lernenden im Interesse der Sache, im Interesse auch der Aufhebung der Benachteiligung ungeförderter Schüler, damit sogar mit emanzipatorischem Anspruch perfektioniert wird.

  3. Sozialformen des Unterrichts

  4. Aktionsweisen

    Aktionsweisen treten im Rahmen unterschiedlicher methodischer Konzepte mit hoher Wahrscheinlichkeit unterschiedlich häufig auf. Selbständige und kooperative Schüleraktionen wie

    sollen ja um der Perspektive des Modells willen besonders ermutigt werden.

    Auch der Wert der Lehreraktionsweisen mißt sich auf Dauer an den Selbsttätigkeiten, die sie initiieren. Aber Vorsicht! Eine rein quantitative Betrachtung könnte zur Ablehnung eines Lehrerreferats führen, das wegen seiner mittelfristigen Bedeutung durchaus Platz einnehmen dürfte, und eine Diskussion, die von Selbstdarstellungen ohne Sachkenntnis in Schwung gehalten wird, kann bei viel äußerer Schüleraktivität leer sein.

  5. Mediale Aspekte der Vermittlung

    Worüber sich die Mitglieder der Lehr-Lern-Gruppe auch verständigen - etwa, wie hier, im Planungsprozeß -, sie benötigen gegenständliche Mittler dazu, um sich über Intentionen und Themen, über ihre Ausgangslage, ihre Handlungsstrategien und Verkehrsformen, ihre Erfolgskontrolle zu verständigen, auch über die institutionelle Determiniertheit aller Aspekte. Die relative Selbständigkeit dieses Aspekts didaktischen Denkens wurde erst spät herausgestellt und wird neuerdings wieder bestritten. Im Kontext dieser Planungsüberlegungen ist es wohl vor allem wichtig, sich klarzumachen, daß Medien nicht nur die objektive Seite der methodischen Vermittlung sind, ohne die die Methoden nicht realisiert werden können, - nur durch sie sind auch z. B. die Mehrzahl der Themen des Unterrichts erst repräsentiert: sie sind die Grundlage unterrichtlicher Kommunikation. Unterrichtliche Kommunikation, unterrichtsbezogene Interaktion der Lehr-Lern-Gruppe findet nur statt, wenn die Planer die Signale, die Gruppenmitglieder aussenden, unverzerrt aufnehmen, ihren Sinn identifizieren, den Kern der Botschaft erfassen, in ihrer vollen Bedeutung im situativen Kontext verstehen.

    Im Zusammenhang der Umrißplanung geht es aber, auf dem Hintergrund grundsätzlicher Überlegungen, zunächst um einen pragmatischen Zugang. Da empfiehlt es sich, die Verständigungsmittel, die Lernende und Lehrende mit sich führen, ihre Lautsprache, Minik und Gestik, gesondert zu behandeln, obwohl hier Dialektschranken, Schichtensprachen, Fachsprachen ein oft untersuchtes Problemfeld darstellen. Die Verständigungsmittel aber, die man sich erst besorgen muß, sind ein besonderes Planungsproblem: Wer kann das Gedicht abziehen, die Bücher besorgen, die Kulissenfarbe, das Chemical? Oft ist noch zu unterscheiden zwischen der "hardware", der Filmapparate, Diaprojektoren, Tonbandgeräte, Video-recorder und den Informationsträgern, der "software", die damit in den Gruppenprozess eingeführt werden sollen.

    Immer wichtiger für die Planung wird die Unterscheidung zwischen materialen Medien als Hilfsmittel und als Objektivierung von Lehrfunktionen. Wenn eine Lehrer bei der Beschreibung der Weltumsegelung des Magellan an den Globus tritt, um zu zeigen, wie polnah im Vergleich etwa zu Südafrika diese Wasserstraße ist, dann benutzt er den Globus als Lehrmittel. Wenn die Schüler im Atlas ihre Weltkarte aufschlagen, um den Vergleich nachzuvollziehen, dann benutzen sie diese Karte als Lernmittel im herkömmlichen Verständnis.

    Ob Hilfsmittel oder selbstinstruierendes Material - für die Auswahl oder Herstellung, für den unterrichtlichen Gebrauch von Medien gilt im Zweifelsfalle eine Checklist, die sich aus den Beziehungen der Medienentscheidung zu den übrigen Komponenten der Unterrichtsplanung ergibt:

  6. Objektivierung von Lehrfunktionen

    Unter Objektivierung wird hier die "Übertragung einer vom Menschen absichtlich ausgeübten Funktion an einen zu diesem Zweck konstruierten Artefakt" verstanden. Komplexe Lehrfuntione, die in diesem Sinne objektiviert werden können, sind Darbietung, Training, Kontrolle, allein oder zusammen. Ein schlichtes Lehrprogramm, z. B. nach dem Skinner-Algorithmus, realisiert in jedem "frame", jedem Lernschritt, alle drei Funktionen.

    Der Aufwand, den derartige, selbstlehrende Medien bei der Produktion machen, ist oft so hoch, daß die Produktion sich von den Lehrern und Schülern einer konkreten Lerngruppe löst, an Spezialisten in Schulfunk- und Schulfernsehteams in den Sendern abgegeben wird oder an das Institut für Film und Bild, an die privatwirtschaftlichen Schulbuch- und Lehrmittelproduzenten, mit allen Folgen, die dies für die Situationsbezogenheit eines solchen Angebots hat, für die alleinige Fremdbestimmtheit des Lernens haben kann. Aber keine voreiligen Schlüsse:

  7. Medien als Hilfsmittel

    Auch in diesem Abschnitt geht es nicht um die möglichst vollständige Aufzählung, sondern um die Akzentuierung der Medien unter der Perspektive des Modells:


2.4 Festlegung der Erfolgskontrolle

Es ist ein konstitutives Moment rationalen Handelns, daß es seinen Erfolg kontrolliert und das Ergebnis dieser Kontrolle zum Anlaß nimmt, sich gegebenenfalls zu korrigieren. Zur Selbstkontrolle jedes einzelnen Schülers in seinem Lernfortschritt wird die Planung deshalb Gelegenheit geben müssen, wie für Selbst- bzw. Mitbestimmung aller anderen Handlungsmomente. Die Bedeutung dieser Art von Kontrolle, wird, weil gemeinsam geplanter Unterricht noch zu selten praktiziert wird, gar nicht ohne weiteres erfaßt: Wer selbst - mit den anderen - die Ziele formuliert hat, selbst mit festgestellt hat, was ihm, bezogen auf diese Ziele fehlt, mitformuliert, an welchen Indizien er seiner Ansicht nach ablesen könnte, daß er das Ziel erreicht hat, mitbeteiligt war an der Strategieentwicklung zur Erreichung dieser Ziele, - auf den wirkt das Ergebnis der Kontrolle nicht als Außendruck ein, sondern es ist sein Ergebnis, das er mit neuen Aktivitäten beantwortet, gegebenenfalls als Beschreibung der Ausgangslage für die nächste Unterrichtseinheit benutzt.

Dies gilt sinngemäß für die Selbstkontrolle der Lehr-Lern-Gruppe im ganzen ebenso wie für die Selbstkontolle der Lehrer; Lehrer fragen sich zusätzlich, ob sie in der Lage waren, die Tendenzen im Gruppenprozeß die sie fördern wollten, zureichend zu fördern. Alle diese Selbstkontrollen werden sich besser auf Kriterien beziehen als auf Normen: Denn eine kriteriumsbezogene Selbstkontrolle orientiert sich an dem, was man sich vorgenommen hat, und der Maßstab ist nicht schlecht, bloß weil alle, mit solidarischer Hilfe, die Kriterien erfüllen; normbezogene Selbstkontrolle zielt darauf, wer im Vergleich mit den anderen der bessere ist. Die Norm muß solange verändert werden, bis die Mitglieder der Gruppe, bezogen auf sie, in ihren Leistungen deutlich streuen, und einer auf jeden Fall der letzte ist. Rückwirkungen auf eine Vereinzelung der Schüler im Unterricht, auf Entmutigung der schwächeren Schüler sind beim normenbezogenen Prüfen unvermeidlich.

Beziehen sich die Erfolgskontrollen auf Kriterien, die in analog zu themenzentrierten Interaktionsgruppen planenden Lehr-Lern-Gruppen entwickelt worden sind, dann werden sie Kompetenz nicht ohne Autonomie und auf Kosten von Solidarität fordern, nicht den Sachbezug ohne Rücksicht auf die sozialen Beziehungen und auf beider emotionale Verarbeitung abrufen. Sie werden sich häufig auf komplexe Handlungsprodukte beziehen und damit für den modelltypischen Unterricht unter Umständen inhaltsvalider sein als die Summe vieler einzeln abzuprüfender Teilleistungen. Tests und Befragungen werden hinzutreten, soweit sie zu Kursen gehören, die zu durchlaufen die Gruppe sich entschlossen hat, oder als Eigenentwicklung mit Zustimmung der Gruppe.


aus: Schulz, Wolfgang (1980). Unterrichtsplanung. 2. Aufl., München: Urban & Schwarzenberg.


bearbeitet von: Peter Preiß, 1997-04-17.

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