Bildungstheoretische Didaktik
in der Tradition von W. v. Humboldt, Pestalozzi, Schleiermacher und Herbart
Definition:
Didaktik ist die Theorie der Bildungsinhalte, ihrer Struktur, ihrer Auswahl und Rechtfertigung.
(Betonung der Ziel- und Inhaltsfragen, Nachordnung der Methoden)Zielsetzung:
Bildung
- zielt auf Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung
- zielt auf die Fähigkeit zur Selbstbestimmung - Mitbestimmung - Solidarität ( Klafki )
- wird im Rahmen historisch- gesellschaftlich- kultureller Gegebenheiten erworben
- kann nur jeder für sich selbst erwerben
- erfolgt aber in der Gemeinschaft
Wolfgang Klafki (1958/62/63)
Modell der Unterrichtsvorbereitung
Ausgang: vorgegebener Rahmenlehrplan, Stundenplan etc.
1. Schritt: Didaktische Analyse
2. Schritt: Methodische Vorbereitung
Didaktische Analyse (= wichtigster Schritt der Unterrichtsvorbereitung)
Konkretisierung des Bildungsgehalts anhand fünf didaktischer Grundfragen, die in wechselseitiger Abhängigkeit stehen:
I. Welchen größeren bzw. welchen allgemeinen Sinn- oder Sachzusammenhang vertritt und erschließt dieser Inhalt? Welches Urphänomen oder Grundprinzip, welches Gesetz, Kriterium, Problem, welche Methode, Technik oder Haltung lässt sich in der Auseinandersetzung mit ihm "exemplarisch" erfassen?
- Wofür soll das geplante Thema exemplarisch, repräsentativ, typisch sein?
- Wo lässt sich das an diesem Thema zu Gewinnende als Ganzes oder in einzelen Elementen - Einsichten, Vorstellungen, Wertbegriffen, Arbeitsmethoden, Techniken - später als Moment fruchtbar machen?
II. Welche Bedeutung hat der betreffende Inhalt bzw. die an diesem Thema zu gewinnende Erfahrung, Erkenntnis, Fähigkeit oder Fertigkeit bereits im geistigen Leben der Kinder meiner Klasse, welche Bedeutung sollte er - vom pädagogischen Gesichtspunkt aus gesehen - darin haben?
- Ist das geplante Thema bereits in der Klasse durch Fragen aufgeworfen worden?
- Ist das Thema diesen Kindern (einigen, allen) aus der außerschulischen Erfahrung bekannt oder nicht?
- Spielt es eine lebendige Rolle im außerschulischen oder im schulischen Leben dieser Kinder?
- Muss also die auf dieses Thema gerichtete Ausgangs- oder Zugangs-Fragestellung erst geweckt werden - vielleicht durch Erschütterung scheinbarer Selbstverständlichkeiten -, oder kann sie als lebendig vorausgesetzt werden? (z. B. Fahrrad, Auto; Obstbäume; Ritterleben; Zinsrechnung; Stilform des Briefes; dagegen: Induktionsstrom; Kreislauf des Wassers; Gewerkschaftsbewegung; Multiplikation und Division von Brüchen bzw. durch sie; Zeichensetzung bei der wörtlichen Rede.)
- Von welchen Aspekten aus haben die Schüer bereits Zugang zum Thema, welche sind ihnen noch fremd? (Beim Thema "Vögel unserer Heimat" etwa: Die Kinder kennen vielleicht Vögel als Sänger, als Kirschen- und Körnerdiebe; der wirtschaftliche Nutzen der Vögel für den Menschen ist ihnen u. U. noch nicht bewusst.)
III. Worin liegt die Bedeutung des Themas für die Zukunft der Kinder?
- Hat dieser Inhalt eine lebendige Stellung im geistigen Leben der Jugendlichen und Erwachsenen, in das die Kinder hineinwachsen sollen, oder lässt sich begründen, dass er sie erhalten wird oder erhalten müsste?
- Ist dieser Inhalt ein echtes Element einer (im guten Sinne verstandenen) Allgemeinbildung, oder stellt er einen verfrühten Vorgriff auf irgendeine Spezialausbildung - etwa eine Berufslehre - vor? (Im letzten Falle müsste man auf ihn verzichten.)
- Ist der Zukunftsbezug dieses Inhaltes den Kindern bereits bewusst, kann er ihnen eröffnet werden, oder ist er so schwer einsehbar, dass er den Kindern einstweilen noch verborgen bleiben und zunächst allein durch den Erzieher verantwortet werden muss?
IV. Welches ist die Struktur des (durch die Fragen I und II und III in die spezifisch pädagogische Sicht gerückten) Inhaltes?
- Welches sind die einzelnen Momente des Inhaltes als eines Sinnzusammenhanges?
- In welchem Zusammenhang stehen diese einzelnen Momente?
- Ist der betreffende Inhalt geschichtet? hat er verschiedene Sinn- und Bedeutungsschichten?
- In welchem größeren sachlichen Zusammenhang steht dieser Inhalt? Was muss sachlich vorausgegangen sein?
- Welche Eigentümlichkeiten des Inhaltes werden den Kindern den Zugang zur Sache vermutlich schwer machen?
- Was hat als notwendiger, festzuhaltender Wissensbesitz ("Mindestwissen") zu gelten, wenn der im vorangegangenen bestimmte Bildungsinhalt als angeeignet, als "lebendiger", "arbeitender" geistiger Besitz gelten soll?
V. Welches sind die besonderen Fälle, Phänomene, Situationen, Versuche, in oder an denen die Struktur des jeweiligen Inhaltes den Kindern dieser Bildungsstufe, dieser Klasse interessant, fragwürdig, zugänglich, begreiflich, "anschaulich" werden kann?
- Welche Sachverhalte, Phänomene, Situationen, Versuche, Kontroversen usw., m. a. W.: "Anschauungen" sind geeignet, die auf das Wesen des jeweiligen Inhaltes, auf seine Struktur gerichtete Fragestellung in den Kindern zu erwecken, jene Fragestellung, die gleichsam den Motor des Unterrichtsverlaufes darstellen muss?
- Welche Anschauungen, Hinweise, Situationen, Beobachtungen, Erzählungen, Versuche, Modelle usw. sind geeignet, den Kindern dazu zu verhelfen, möglichst selbständig die auf das Wesentliche der Sache, des Problems gerichtete Fragestellung zu beantworten?
- Welche Situationen und Aufgaben sind geeignet, das am exemplarischen Beispiel, am elementaren "Fall" erfasste Prinzip einer Sache, die Struktur eines Inhaltes fruchtbar werden, in der Anwendung sich bewähren und damit üben (- immanent wiederholen -) zu lassen?
Methodische Vorbereitung (= zweiter Schritt der Unterrichtsvorbereitung)
Die Eigenart des zweiten Vorbereitungsschritte, der methodischen Planung, kann hier nicht mehr ausführlich erörtert werden. Diese Vorbereitungsphase muss sich unseres Erachtens vor allem auf folgende vier Fragenkreise konzentrieren:
- Die Gliederung des Unterrichts in Abschnitte oder Phasen oder Stufen.
- Die Wahl der Unterrichts-, Arbeits-, Spiel-, übungs-, Wiederholungsformen.
- Der Einsatz von Hilfsmitteln (Lehr- und Lern- bzw. Arbeitsmittel).
- Die Sicherung der organisatorischen Voraussetzungen des Unterrichts.
Natürlich werden dem Praktiker schon im Zuge der didaktischen Analyse immer methodische Einfälle kommen. Totzdem kann die methodische Vorbereitung, die ja dann den Grundriss der tatsächlichen Unterrichtsgestaltung darstellt, im Zusammenhang eigentlich erst nach der didaktischen Analyse durchgeführt werden. Das ist gerade auch deshalb wesentlich, weil der oben dargelegte Grundriss didaktischer Fragen in seinem Aufbau durchaus nicht identisch ist mit der zeitlichen Reihenfolge der methodischen Unterrichtsschritte.
Klafki, Wolfgang (1958). Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung". Die Deutsche Schule, S. 450 - 471.
Klafki, Wolfgang (1962). Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung". In H. Roth und A. Blumenthal (Hrsg.), Auswahl Reihe A, Heft 1 - Grundlegende Aufsätze aus der Zeitschrift "Die Deutsche Schule": Didaktische Analyse (S. 5 - 34), Hannover: Schroedel
Klafki, Wolfgang (1963). Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Durch ein kritisches Vorwort ergänzte Auflage 1975, Weinheim und Basel: Beltz, darin enthalten: Fünfte Studie: Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung" (1958), S. 126 - 153.